Montag, 12. Mai 2014

Homophobie ist kein Pickel

Dummerweise war es eine Satire vom Spiegelfechter, die bei mir den Ausschlag zum Tastaturgeklimper gegeben hat. Aber Satiren haben ja häufig einen ernsten Kern und die Grundaussage darin hörte ich in den letzten zwei Tagen durchaus häufiger: "Nur weil ein Mann als Frau mit Bart einen Gesangswettbewerb gewinnt, ist das Problem der Homophobie nicht gelöst"

Es scheint mir absurd, aber vielleicht muss man es doch mal aufschreiben.
Homophobie (genau wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und anderer menschenverachtender Dreck) ist kein Pickel! Das verschwindet nicht über Nacht und lässt sich auch nicht auf die Schnelle beheben.

Also Überraschung: die Probleme der Welt sind damit nicht gelöst.
Aber es ist ein kleines, großes Zeichen, wenn Conchita Wurst den Eurovision Song Contest gewinnt. Genauso wenn der erste offen schwule Footballspieler in den USA einen Profivertrag bekommt. Wenn Thomas Hitzlsberger sich als erster deutscher, bedeutender Fußballspieler outet. Wenn Berlin einen schwulen Bürgermeister wählt.

Ich selbst bin nicht homosexuell, ich freue mich darüber und gut ist. Durch Gespräche und Beobachtungen weiß ich aber, wieviel solche Beispiele meinen homosexuellen Freunden bedeuten und die leben alle längst geoutet in behaglichen Umfeldern, die sie so akzeptieren, wie sie sind. Wieviel mag das erst Homosexuellen bedeuten, die sich noch nicht geoutet haben? Die vielleicht irgendwo in Russland oder in einem kleinen deutschen Dorf sitzen und Angst davor haben, zusammengeschlagen zu werden? Die sich täglich mit Beleidigungen und Diskriminierungen auseinander setzen müssen?

Wenn man die Siegerrede und Interviews von Conchita Wurst hört oder auch die Interviews nach Hitzlsbergers Outing liest, dann richten sich diese oft nur indirekt an Putin, Sarrazin, Matussek oder andere Rückständige. Die ersten Adressaten sind meist all die unbekannten Homosexuellen, die Angst haben sich zu outen oder sich geoutet haben und nun mit Anfeindungen oder Schlimmerem konfrontiert sind. Im erweiterten Umkreis dann noch alle anderen Menschen, die für eine Welt ohne Vorurteile und Anfeindungen kämpfen. Und erst dann, ganz zum Schluss, geht es um homophobe Hohlköpfe.

Vor vier Jahren wurde das Projekt It gets better gestartet. Der Auslöser dafür waren eine Reihe von Selbstmorden von homosexuellen Jugendlichen, die zuvor gemobbt wurden. Auch hier hat sich niemand die Mühe gemacht, sich an die Mobber zu wenden und denen etwas zu erzählen. Nein, die ganze Kampagne richtet sich direkt an die homosexuellen Jugendlichen, um ihnen Mut zu machen, dass es besser wird und mittlerweile Welten, Realitäten, Filterbubbles existieren, in denen Homosexuelle unbeschwerter leben können.

Und das ist meiner Meinung nach auch genau das Zeichen, das nun mit Conchita Wurst um die Welt oder zumindest durch Europa geht. Ja, es gibt homophobe Hohlköpfe und es wird sie wohl noch lange geben und sie sind laut und nerven und im schlimmsten Fall sind sie für Homosexuelle sogar eine Bedrohung.

Aber sie sind nicht die Welt. Es gibt Massen von Menschen, die deren Auffassungen nicht (mehr) teilen. Massen von Menschen, die eine Conchita Wurst zum ESC-Sieger wählen, einen schwulen Bürgermeister wählen, sich laut darüber freuen, dass The Hitz sich geoutet hat. Massen von Medien, die nun positiv über Conchita Wurst schreiben, wie sie vorher positiv über Hitzlsberger geschrieben haben. Massen von Menschen, die eine Gesellschaft wollen, die niemanden aufgrund unterschiedlicher Sexualität benachteiligt und die sind auch laut. Davon gehen die Homophoben nicht weg, die sitzen weiterhin in Kommentarspalten, kleinen Blogs oder in russischen Talkshows, regen sich nun fürchterlich auf und verkünden ihre Angst vom Untergang Europas, Medienmanipulation, Aussterben der Menschheit und ähnlichem.

Aber wie Conchita Wurst selbst so schön sagte: "Für Euch haben wir keine Zeit"

Montag, 21. April 2014

Das Reiseparlament - Ein Gedankenexperiment

Vor einer Weile kam ich bei einem kurzen Twittergespräch mit Jan Falk auf den Gedanken, dass das EU-Parlament ja nicht unbedingt an einem Ort kleben muss, sondern auch einen pendelnden Hauptsitz haben könnte. Anlässlich Stefans Überlegungen zu einer europäischen Identität habe ich versucht, meine spontane Idee zu konkretisieren.

Heute ist es so, dass das Parlament seinen eigentlichen Sitz in Straßburg hat. Dort finden aber lediglich 12 mal im Jahr Plenarsitzungen statt, während die Fraktionen und Ausschüsse hauptsächlich in Brüssel arbeiten. Das Generalsekretariat hat zudem noch seinen Sitz in Luxemburg, warum auch immer. 

Meine Idee war jetzt, dass zwar die Hintergrundarbeit weiterhin in Brüssel stattfinden könnte, das Parlament aber - zumindest für die wichtigen Sitzungen und Debatten - keinen festen Sitz mehr haben muss, sondern turnusmäßig durch sämtliche Hauptstädte Europas ziehen könnte. Diese Stadt wäre dann solange EU-Hauptstadt oder meinetwegen Parlamentshauptstadt. So wie der EU-Vorsitz regelmäßig wechselt, könnte auch das Parlament alle paar Jahre seinen Sitz wechseln.

Die Symbolik stelle ich mir großartig vor. Man könnte an Karl den Großen anknüpfen. Den Vater Europas, der ja auch keinen festen Regierungssitz hatte, sondern seine Hauptstadt immer da hatte, wo er gerade seine Zelte aufschlug. Nebenbei war er noch Erfinder bzw Weiterentwickler der Bürokratie, was ja auch ganz wunderbar passen würde. Und wie damals sollte es für die jeweils ausgesuchte Stadt natürlich eine große Ehre sein, das Parlament zu beherbergen.
Der Einzug des Parlaments könnte mit einem großen europäischem Fest begleitet werden, Kulturveranstaltungen, Ausstellungen oder Aufführungen. Zudem könnte man gleichzeitig eine große Kampagne in puncto Bürgernähe fahren, nach dem Motto "Wenn Du nicht zum Parlament kommst, kommt das Parlament zu dir" Es würde wahrscheinlich schon ausreichen, wenn lediglich die großen Debatten an diesen Ort verlegt werden, an denen die Bürger - ähnlich wie heute im Reichstag - als Besucher zuhören könnten. Wichtige Debatten des EU-Parlaments könnten so auch massiv aufgewertet werden, denn wenn etwas vor der Haustür stattfindet, ist das ganze vielleicht doch interessanter. Wenn das ganze EU-Parlament gerade in Berlin tagt und debattiert, könnte ich mir schon vorstellen, dass Phönix dann auch mal eine Euro-Debatte übertragen möchte.
Drumherum könnte man noch weitere Kampagnen initiieren, vielleicht Bürgersprechstunden mit den Parlamentariern oder die Parlamentarier reisen in Gruppen durch das jeweilige Land, um sich das ganze mal genauer anzusehen. Auch das Gastland könnte für diese Zeit in den Fokus rücken und genauer angesehen, bereist oder vorgestellt werden. Vielleicht mit einer Sonderdebatte zum jeweiligen Gastland. Das wäre auch ein toller Beitrag für die Völkerverständigung. Besser als wenn ein paar Eliten aus 28 Ländern in einem Elfenbeinturm namens Brüssel verschwinden und kaum noch gesehen werden. Vielleicht, ganz vielleicht würden den Parlamentariern sogar noch andere praktische, aber lösbare Probleme einfallen als Roaming-Gebühren. Die Wichtigkeit des Schengen-Abkommens, wenn man nach Bukarest will, marode Straßen auf dem Weg nach Rom, hungernde Obdachlose in Athen oder langsames Internet in Teilen Deutschlands.

Ja, das ganze wäre natürlich ziemlich aufwendig. Die Leute müssten einen Saal für die Debatten finden, irgendwo wohnen, essen, hin und herreisen usw. Aber wir leben eigentlich in Zeiten, in denen diese Probleme nicht mehr unüberwindbar sind. Alle zwei Jahre ist irgendwo EM oder WM, dafür hat man mittlerweile sogar ganze tragbare Fußballstadien! entwickelt, ein paar Parlamentarier sollten eigentlich ein Klacks dagegen sein. Gleichzeitig wäre der Status als zeitweilige Eu-Hauptstadt sicherlich auch ein Wirtschaftsfaktor, wie dies eben auch bei einer EM angeführt wird.
Die Vorteile wiegen den Aufwand meiner Meinung nach auf. Die Symbolkraft könnte enorm sein, wenn man das selbstbewusst verkauft. Das EU-Parlament (meiner Meinung nach die einzig voll legitimierte demokratische Instanz im EU-Zirkus) würde eine enorme Aufwertung erfahren und vor allem auch viel sichtbarer sein als heutzutage. Zudem hätte man noch eine größere Bürgernähe und einen Beitrag zur Völkerverständigung geleistet. Ich glaube, solch eine Aktion könnte durchaus lohnenswert sein.

Sonntag, 30. März 2014

Was ich nicht brauche, soll auch kein anderer haben

Der Spiegel-Volontär Alexander Demling war so freundlich, in einem Artikel seine Sichtweise über die Mütterrente darzulegen, die er für eine Beleidigung der Regierung hält. Denn: Seine Mutter braucht sie nicht.

Ich halte die Mütterrente für eine der wenigen klugen Ideen, die die Union in den letzten Jahren ausgebrütet hat.

Freundlicherweise erklärt Herr Demling im ersten Absatz gleich mal die Idee dahinter.
Fünf Kinder hat sie zwischen 1982 und 1990 geboren. Durch das geplante Rentenpaket von Union und SPD soll sie dann für uns fünf ähnlich viel Rente bekommen wie für meine beiden kleinsten Geschwister, die ab 1992 auf die Welt kamen.

Genau, denn warum sollte ein Kind mehr Rente wert sein als das andere?

Das weiß Herr Demling allerdings auch nicht, erzählt dafür aber von seiner Mutter, die einen Oberarzt heiratete, sieben Kinder bekam und dafür ihren Ärzteberuf aufgab und heute in einer Doppelhaushälfte wohnt und nebenbei noch einige Wohnungen vermietet.
Darauf folgen zwei schwere Fehleinschätzungen und das in nur einem Satz!

Meine Mutter ist typisch für die Frauen ihrer Generation

Oh nein Herr Dehling, ihre Mutter ist nicht in einer typischen Situation, sondern in einer sehr priviligierten.
Und es geht auch nicht nur um diese Generation. Das Gesetz betrifft alle Frauen, die vor 1992 mindestens ein Kind bekommen haben, also gleich zwei oder sogar drei Generationen, das geht bis in die Kriegszeit zurück. Doch dazu später mehr.

Immerhin erkennt Dehling an, dass das Gesetz sicherlich auch ein paar Frauen vor Armut schützen wird, alle anderen sind deswegen aber nun wohl verloren. Für sämtliche kommenden Generationen wird nichts mehr da sein, der Staat pleite und die Masse der Rentner ist ja erst noch zu erwarten.

Er schließt dann mit folgendem Absatz:
Ironisch, dass die Große Koalition mit der Mütterrente eine Generation von Frauen belohnen will, die selbst kaum jemals so verantwortungslos gewirtschaftet hätten wie derzeit die Bundesregierung. Für meine Mutter wie für viele in den fünfziger und sechziger Jahren geborene Frauen ist Sparsamkeit noch eine Charakterfrage. Für sie ist es Ehrensache, ihren Kindern keine Schulden, sondern ein Haus und ein gefülltes Sparkonto zu hinterlassen. Wer wie Angela Merkel behauptet, die "schwäbische Hausfrau" als politisches Leitbild zu haben, sollte sich auch so verhalten.

Sorry, das ist realitätsferner Unsinn.
Sicherlich geht es den meisten Eltern so, dass sie jedem Kind ein Haus und gefülltes Sparkonto hinterlassen möchten, dummerweise ist es dabei mit simpler Sparsamkeit nicht getan.

Ich möchte hier kurz als Beispiel meine Oma - natürlich die beste der Welt - gegenüberstellen. Sie ist 1931 geboren, eine Generation, in der Sparsamkeit keine Charakter-, sondern eine Überlebensfrage war. Sie hat alleine fünf Kinder großgezogen. Ohne pensionierten Oberarzt als Mann und ohne Beruf (schon gar nicht Ärztin), den sie gänzlich aufgeben konnte, weil ja die Kinder ernährt werden mussten.
Mit der gleichen Verve, die Herr Dehling an den Tag legte, erkläre ich das mal für typisch für Frauen ihrer Generation.
Sie hat kein Haus und kein gefülltes Bankkonto, das sie ihren Kindern hinterlassen kann. Unnötig zu erwähnen, dass dies nicht an mangelnder Sparsamkeit liegt, die nichts aber auch gar nichts mit der Sparsamkeit zu tun hat, lieber eine Doppelhaushälfte statt ein Einfamilienhaus zu kaufen.
Meine Oma ist eine furchtbar sparsame Frau, ihre Rente ist nämlich niedriger als die Grundsicherung, da muss sie jeden Pfennig dreimal umdrehen und da sie schon kein Haus zum Vererben hat, wandert jeder zweite davon in Geschenke für die Familie, das ist für sie Ehrensache Herr Demling.

Altersarmut ist keine abstrakte Sorge in der Zukunft, für die wir heute Geld zurücklegen müssen, das ist bereits ein existierendes Problem! Vor allem bei Frauen, die Mütterrente ist hier nur eine wichtige Symptombehandlung.
Ganz nebenbei geht es hier auch um Gleichbehandlung, weil es unsinnig ist, dass Kinder, die vor 1992 geboren sind, irgendwie weniger Rente wert sind.
Das ist ein Grund, aber nicht nur.
Rente bekommt jeder, auch der pensionierte Vater Herr Demlings, obwohl er vielleicht auf einem Batzen Geld sitzt und es gar nicht nötig hätte.
Würde man die Mütterrente außerdem an Bedürftigkeit knüpfen, gäbe es die Notwendigkeit, diese zu definieren, zu prüfen und weiteres bürokratisches Hickhack.
Meine Oma könnte heute bereits etwas mehr Geld monatlich bekommen, wenn sie die Grundsicherung beantragen würde. Da gibt es dieses bürokratische Hickhack und deswegen macht sie es nicht, weil sie zb aus ihrer Wohnung ausziehen müsste, in der sie seit etlichen Jahrzehnten lebt und in deren Umgebung sich ein Großteil ihrer Sozialkontakte befinden. Oh und da sie ja kein Haus zum Vererben hat, es aber für sie Ehrensache ist, die Kinder nicht auf den Kosten der Beerdigung sitzen lassen möchte, hat sie etwas angespart. Das steht der Grundsicherung übrigens auch im Weg und sie müsste das vorher auflösen.

Ich kann damit leben, wenn Herr Demlings Erb-Sparkonto nun besser gefüllt ist als vorher, wenn meine Oma ihren Lebensabend dafür etwas sorgenfreier genießen kann.
Nur, warum kann Herr Demling das nicht?